sitemap
Ukrainekrieg, was tun ... Kanzlei Hoenig
gitter
zur Startseite
Mitfahrgelegenheit, blablacar

berlinkriminell.de
Gerichtsreportagen


Dumm und gierig auf Ebay


von von Barbara Keller

Mo., 30.11.2010, Amtsgericht Tiergarten, Abt. 216
Am 30.11.2010 ging der Prozess gegen einen betrügerischen Ebay-Händler zu Ende. ('berlinkriminell.de' berichtete) Dem 28-jährigen Jura-Studenten und freischaffenden Kunstmaler war vorgeworfen worden, wertlose, mit falschen Nachlassstempeln aufgepeppte Bilder in größerem Stil als Originale namhafter Künstler verkauft zu haben. Startgebot: 1 Euro. Dass die 'gierigen Käufer' eben dumm und Ebay nur ein 'Flohmarkt' sei, konnte das Gericht nicht von der Unbescholtenheit des Angeklagten überzeugen...

Am 30.11.2010 hielt Tom S. nach einer letzten Zeugenaussage in seinem letzten Wort ein flammendes Plädoyer für sich selbst. Er sei 'hoch verschuldet', habe zwei Kinder zu ernähren und schlage sich als freischaffender Kunstmaler durch, sagt Tom S. Eine Verurteilung zu einer mehrmonatigen Freiheitsstrafe würde für ihn das berufliche Aus in der von ihm angestrebten juristischen Karriere bedeuten.

"Ich bin unschuldig!", erklärt er auch und sagt: "Ich war 22 Jahre alt und hatte keine Ahnung von Kunst." Er habe die Bilder für echt gehalten. Das sei damals fast noch ein Fall für die Jugendstrafkammer gewesen. Tom S. will die Bilder im Auftrag eines (ungenannten) Dritten verkauft haben. Die auf die wertlosen Plagiate aufgebrachten Nachlasstempel, so betont er, stammten nicht von ihm. Auch wenn er sie durchaus 'pfiffig' finde.

Der Angeklagte hält den Prozess für 'pompös' und aufgeblasen und empfindet sich als Opfer. Tom S. erklärt: "Ich lasse mich hier nicht als Ganoven und Kriminellen hinstellen." "Wir haben es mit Ebay zu tun", doziert er mit vielsagendem Blick. Ebay sei nunmal ein 'Flohmarkt'.

Zudem widerspricht Tom S. der Verwendung von Beweismitteln, die die Staatsanwaltschaft seines Erachtens in nicht erlaubter Weise an sich brachte. Nur durch Zufall waren die Ermittler auf die strittigen Bilder gestoßen, als sie bei Tom S. eine Hausdurchsuchung wegen eines gestohlenen Gemälde durchführten. (Ein Verfahren gegen Tom S., das inzwischen eingestellt wurde.) Der Angeklagte erklärt nun, die Ermittler hätten für ihr weiteres Vorgehen einen neuen Durchsuchungsbefehl gebraucht. Die Ermittler begründen ihr Vorgehen jedoch mit der Klausel 'Gefahr im Verzug'.

Tom S., bislang unbscholten, macht auch die lange Verfahrensdauer als strafmildernd geltend. Er sei pleite, traumatisiert. Die Wahrheit sei, so Tom S., dass er für seine juristische Internetseite bestraft werde, auf der er alles offenlege.

Was ist denn Kunst überhaupt, fragt Tom S. Laut Wikipedia seien 60% aller Kunstwerke gefälscht. Da sei es kein Wunder, dass er als 22-Jähriger auf die Kunstfälschungen hereingefallen sei. Es gehe nur noch um Gier und Geiz. Deshalb werde er demnächst seine Bilder mit einer silbernen, mit Feingold beschichteten Anstecknadel signieren. Seinen Name hat Tom S. bereits als Marke gemeldet.

Auf einen Deal mit Staatsanwaltschaft und Gericht hat sich Tom S. nicht eingelassen. "Ich wäre ja auch schön blöd", sagt er. Denn er sei ja unschuldig. "Wer kämpft für das Recht, hat immer Recht", zitiert Tom S. das Lied der Partei (Louis Fürnberg, 1950) und endet seine Rede selbstbewusst mit einem Appell an das Gericht: "Lassen Sie, was Sie nicht tun können!" Als Tom S. seine Rede geendet hat, lässt sein Rechtsanwalt, Roman von Alvensleben, ein leises "Bravo" hören.

Doch auf das Gericht machte Tom S. mit seiner flammenden Rede wenig Eindruck. Blieb der Angeklagte nach dem Strafantrag des Staatsanwaltes, der eine Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten forderte, noch gelassen, ist ihm die Enttäuschung während der Urteilsverkündung doch anzumerken.

Wegen Betrugs in neun Fällen verurteilt das Amtsgericht Tom S. zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren und zu 400 Stunden gemeinnütziger Arbeit. In seiner Urteilsbegründung gab sich Amtsrichter Lenz überzeugt, dass Tom S. zumindest von der Unechtheit der aufgebrachten Nachlassstempel wusste. Tom S. habe diverse Ebay-Accounts unter verschiedenen Namen geführt, verschiedene Handys benutzt, sich als Kunstsachverständiger und als Doktor ausgegeben.

Es gäbe eine 'schwache Möglichkeit', dass Tom S. gemeinsam mit einem Helfershelfer, vielleicht auch einer Bande zusammenarbeitete. Vielleicht habe er die Stempel auch nicht selbst aufgebracht. Aber er habe sie doch, so das Gericht, wissentlich verwendet. Der Vorsitzende Richter wies zudem darauf hin, dass es sich bei den nachgewiesenen Fällen möglicherweise nur um die Spitze eines Eisberges handele. Es sei nicht möglich gewesen, allen Spuren nachzugehen. Zudem hatte Tom S. zuvor auch selbst erklärt, Umsätze in sechsstelligem Bereich auf Ebay bewegt zu haben.

In Bezug auf die Strategie des Angeklagten, sich auf die 'außergewöhnliche Dummheit' seiner Kunden auf Ebay zu berufen, hinterfragte der Richter die Bemühungen des Angeklagten, für sich selbst die Naivität eines Neulings in Kunstdingen in Anspruch zu nehmen.

"Wir haben diese Menschen hier kennengelernt. Es waren keine nur ganz dummen oder gierigen Leute. Sie hatten keine Chance, echte Gemälde zu kaufen", führte der Richter aus. Zwei, drei Tage gemeinnützige Arbeit pro Monat verordnete Richter das Gericht Tom S., "um ihm mal ein paar andere Perspektiven aufzuzeigen".

Tom S., so viel ist gewiss, wird in Berufung gehen.



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




gitter
Anzeige
Kanzlei Luft
in eigener Sache:
Barbara Keller, Sieht so eine Mörderin aus?
Kanzlei Hoenig Ukraine Krieg, was tun ...