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Gerichtsreportagen


Die Gefährlichkeit der Krokodile

- Über den Fall der versuchten Brandstiftung einer psychisch kranken Syrerin in Berlin-Rummelsburg -

von Till Greite

Di., 21.07.2010
Moabiter Kriminalgericht, Turmstr. 91 (34. gr. SK, RI Seiffe)
Angeklagt: Sicherungsverfahren, versuchte schwere Brandstiftung, gefährliche Körperverletzung

"Also ließen sich ihre Ausführungen", der Richter beugt sich in Richtung des psychiatrischen Gutachters, "so zusammenfassen: Derzeit ist Frau L. stabil. Bei einer Rückführung in die Familie aber könnten mit ‚sehr hoher Wahrscheinlichkeit’ die Stresssymptome wieder auftreten. Habe ich sie da richtig verstanden?" Der Sachverständige Facharzt Christian Winterhalter, der der halb verschleierten Beschuldigten gegenüber sitzt, fügt den Worten des Richters hinzu, dass ein so genannter "erweiterter Suizid" insofern zu befürchten sei, da das "mangelnde Verständnis" ihres Umfeldes eine mögliche "psychotische Verkennung" befördern könnte. Es bestünde eine "konkrete Gefahr" für die Kinder. Für einen Moment fällt der Gutachter aus seinem Redefluss heraus: "Frau L. tut mir in der Seele Leid."

Am 05.07.10 und 07.07.10 musste sich die 29-Jährige Syrerin L. vor dem Kriminalgericht Moabit wegen versuchter schwerer Brandstiftung sowie gefährlicher Körperverletzung verantworten. Der Prozess wurde jedoch nicht als Strafverfahren, sondern als Sicherungsverfahren geführt, da erhebliche Zweifel hinsichtlich der Schuldfähigkeit der Beschuldigten bestanden.

Der schlimme Augenschein

Die verheiratete Frau und Mutter von fünf Kindern wurde beschuldigt, am 29.10.09 in einer Wohnung in der Berliner Wönnichstraße im Stadtteil Rummelsburg eine 26-Jährige Frau mit einem Küchenmesser attackiert und gewürgt zu haben. Ein in der Folge entfachter Brand konnte lediglich durch die herbeigerufene Polizei und Feuerwehr gelöscht werden. Da die Beschuldigte vor der Tat bereits mehrfach in psychiatrischer Behandlung war, nahm man bei der Frau indessen eine psychische Störung an, aufgrund derer das Gericht von ihrer Schuldunfähigkeit ausging.

Bei Prozessbeginn befand sich die Beschuldigte bereits im Krankenhaus in einem so genannten "Maßregelvollzug". Zu den einzelnen Anklagepunkten machte Frau L., der das Prozessgeschehen mittels einer Arabischdolmetscherin simultanübersetzt wurde, keine Angaben. Sie schwieg während der gesamten Verhandlung. Frau L. bestritt jedoch – vermittelt über ihren Anwalt – die betreffende Frau gewürgt oder sie mit einem Küchenmesser gestochen zu haben.

Ungereimtheiten

Hauptzeugin in diesem Verfahren war die zugleich Geschädigte: die 26-jährige arbeitslose Franziska R., in deren Wohnung sich der fragliche Vorgang zugetragen haben soll. Frau R. sagte aus, die Beschuldigte, die sie am Tag zuvor durch einen arabischen Freund kennengelernt hatte, in einem "hilflosen Zustand" von der Straße, in der Nähe ihrer Wohnung aufgelesen zu haben. Frau L. äußerte gegenüber der Zeugin, vor ihrem Mann weggelaufen zu sein, der sie geschlagen hätte.

Franziska R. merkte an, dass das Gespräch mit der Beschuldigten sich als äußerst schwierig darstellte, da Frau L. kaum Deutsch sprach. Sie seien zusammen in ihre Wohnung gegangen, hätten in der Küche Kaffee getrunken und zu reden versucht.

Plötzlich, so die Zeugin, redete Frau L. vehement in Arabisch auf sie ein. Dann hielt sie ihr ein Messer an den Hals. Woher das Küchenmesser auf einmal kam, konnte sie sich nicht erklären. Frau R. konnte die Beschuldigte jedoch von sich stoßen.

Nach diesem Vorfall hielt sich Franziska R. für ungefähr 20 Minuten zum Wäschewaschen bei einem Freund auf. Erst auf dem Rückweg rief Frau R. dann die Polizei. Warum sie dies tat, konnte sie nicht schlüssig erklären. Als sie gegen halb ein Uhr nachts wieder vor ihrer Wohnung stand, bemerkte sie Rauch unter der Wohnungstür aufsteigen.

Spiegelungen

Der Richter bemerkte nach der Schilderung erhebliche Abweichungen gegenüber dem Zeugenbericht, den Franziska R. am 29.10.09 zu Protokoll gegeben hatte. Laut Polizeiprotokoll spielte sich die Attacke im Wohnzimmer und nicht in der Küche ab. Die Zeugin gab an, in der Spiegelung des Fernsehers gesehen zu haben, wie die Beschuldigte mit einem Messer von Hinten auf sie zulief.

Im Protokoll war, so die Vorhaltungen des Richters, zu lesen, dass Frau R. von der Klinge des Messers 'berührt' worden sei. Die Zeugin habe die Angreiferin weggestoßen, wobei sie Gelegenheit fand, ihr das Messer abzunehmen. In der Folge sei sie von der Beschuldigten gewürgt worden, konnte sich aber in einem Handgemenge befreien.

Von einer solchen Würgeattacke war in der Schilderung der Zeugin vor Gericht jedoch keine Rede. Auch waren im Protokoll des Polizeiberichtes keine Würgespuren erwähnt. Dagegen war in diesem von einem Kind die Rede, welches bei dem Vorfall dabei gewesen sein soll.

Kurzum: der Richter bemängelte erhebliche Widersprüchlichkeiten: "Sie stehen hier unter Wahrheitspflicht", wiederholte der Richter, der sichtlich irritiert wirkte von den verschiedenen Versionen der Zeugin. Auf den Zuschauerplätzen murmelte ein Zuhörer: "Der Staatsanwaltschaft schwimmt der Fall davon." Die Zeugin gab nun zu, bei der Vernehmung unter Alkoholeinfluss gestanden zu haben. Später gibt Franziska R. auch zu, am Tag des Brandes drei Kügelchen Heroin genommen zu haben. Sie erklärte, dass sie derzeit selbst wegen unerlaubten Drogenbesitzes und dem Handeln mit Drogen (ein so genanntes BTM-Delikt) in Untersuchungshaft sitzt.

Verstörtheiten

Der Richter hielt Franziska R. die Version der Beschuldigten L. entgegen, die sie gegenüber der psychiatrischen Ärztin abgegeben hatte. Danach sei die Beschuldigte an zwei aufeinander folgenden Tagen in der Wohnung der Zeugin gewesen. Am Tag vor dem Brand soll Frau L. von ihrem Gatten und drei arabischen Männern in die Wohnung von Franziska R. mitgenommen worden sein. Die drei arabischen Bekannten, die sich alle zurzeit in Untersuchungshaft befinden, hätten dort mit der Zeugin Franziska R. Drogen geraucht, vermutlich Heroin.

Frau R. hätte versucht der Beschuldigten eine Spritze zu verabreichen. Es sei zu Anzüglichkeiten gekommen. Die drei Männer und Franziska R. hätten Frau L. versucht zu entkleiden, die schrie, dass sie Mutter von fünf Kindern sei. Dann ließ man von ihr ab.

Erst am Tag darauf darauf soll die Beschuldigte von Frau R. in ihre Wohnung gebracht worden sein. Frau L. bestätigte gegenüber einer Ärztin, die Zeugin gewürgt zu haben, da ihr dies "von Stimmen befohlen" worden sei. Die Messerattacke bestritt sie jedoch. Franziska R., so die Beschuldigte, habe sie in der Wohnung eingeschlossen. Dort, allein in der Wohnung, sei sie durch die vielen nackten Frauen an der Wand – in der Wohnung von Frau R. hingen Pin-up-Poster – nervös geworden und habe die Bilder angezündet.

Wenig Erhellendes zu den widersprüchlichen Schilderungen trugen die Aussagen der vier bei dem Einsatz beteiligten Polizeibeamten sowie eines Experten vom Branddezernat bei. Fraglich blieb nach ihren Schilderungen, ob die beiden Zivilbeamten, die die Wohnung stürmten und Frau L. mit einem Pfefferspray überwältigten, sich der Angeklagten gegenüber überhaupt als Polizeibeamte zu erkennen gegeben hatten.

Unklar blieb auch, ob Frau L. zum diesem Zeitpunkt mit einem Messer bewaffnet war. Während ein Beamter, der die Tür sicherte, die Waffe gesehen haben will, konnten sich die beiden Zivilbeamten, die als einzige in der Wohnung waren, an kein Küchenmesser erinnern. Ihr Einsatz soll nach ihrer Information mit dem Hinweis "geistig verwirrte Person mit Messer" an den Start gegangen sein. Darüber hinaus herrschte weiterhin Uneinigkeit unter den Zeugen hinsichtlich der Frage, ob die Tür verriegelt war oder "nur in die Falle geschnappt", wie ein Beamter es formulierte.
Auch die als Zeugen geladenen Polizeibeamten hielten durchweg den durch die Zeugin Franziska R. geschilderten Sachverhalt für "nebulös". Dass das mutmaßliche Opfer, Franziska R., wie von ihr geschildert, unter Drogeneinfluss stand, hatte keiner der Polizisten wahrgenommen.

Die Beamten sprachen von "starken Brandspuren" in der betroffenen Wohnung. Und ein Experte vom Branddezernat hielt das Risiko, dass sich der Brand hätte ausweiten können, für "sehr hoch". Er erklärte jedoch auch auf Nachfrage des Richters, dass es sich hierbei um "keine vollendete Brandstiftung" handelte.

Sprachbarrieren

Die letzte Zeugin des Tages war eine psychiatrische Ärztin des KE Herzberge, die Frau L. schon einmal behandelte. Sie sei dort, so die Zeugin, vor der Tat wegen mehrerer Suizidversuche eingewiesen und mit einem Neuroleptikum behandelt worden, das sie zu einem weiteren Selbstmordversuch verwendete.

Frau L. wurde in der Folge auf die Beobachtungsstation gebracht, wo eine schizoaktive sowie bipolare Störung diagnostiziert wurde. Die Behandlung soll durch Sprachprobleme erheblich erschwert worden sein. Die Sachverständige erklärte, dass sich schizoide Störungen bei Migranten wegen der "Sprachbarriere" erheblich häufen würden und belegte dies mit Ergebnissen aus neueren Studien. Diese These stieß die bei der Strafkammer auf sichtliches Interesse.

Der psychiatrische Sachverständige Dr. Winterhalter ergänzte die Ausführungen der behandelnden Ärztin und berichtete, es sei bei Frau L. nach der Brandnacht zu optischen Halluzinationen gekommen. Die Patientin hätte von einer "telepatischen Beeinflussung durch die Schwiegermutter" gesprochen. Sie hätte "Hexen und Katzen" (tatsächlich hat Frau R. zwei Katzen) in der Wohnung von Franziska R. gesehen und Stimmen vernommen. Sie konnte die Reize nicht mehr filtern. Die Schutzmechanismen seien schlicht zusammengebrochen: "In der Psychose ist man ein anderer Mensch", so der Sachverständige.

Ein Fall wird Biografie

Der psychiatrische Gutachter legte auch die Familiengeschichte der Patientin dar: Ihr Vater, ein Schulranzen produzierender Täschner, sei vor sechs Jahren in Syrien gestorben. Mit der in Damaskus lebenden Mutter (46) hatte Frau L. vor sieben Jahren das letzte Mal Kontakt. Im Alter von zehn Jahren hatte die Beschuldigte einen Verkehrsunfall. Danach sollen ihre Schulleistungen erheblich abgefallen sein.

Zwar mochte sie die Schule, wurde aber vom Vater nach der achten Klasse von der Schule genommen. Frau L. gab in den Gesprächen mit dem Sachverständigen an, dass ein Onkel mütterlicherseits nach einem Schlag auf den Kopf ähnliche Symptome entwickelt hatte wie sie.

Im Alter von 18 Jahren wurde Frau L. mit einem Cousin verheiratet. Mit ihm verließ sie Syrien in Richtung Türkei, vermutlich wegen Waffenhandelgeschäften des Mannes. In Istanbul lebte die Familie fünf Jahre und hielt sich mit Schwarzarbeit über Wasser, bis sie 2003 nach Deutschland übersiedelte.

Dort begann, wie der Sachverständige sich ausdrückte, "eine typische Asylantenheimkarriere". Das älteste Kind der Beschuldigten ist mittlerweile zwölf Jahre alt. Das jüngste wurde 2009 nach ihrem ersten Anfall geboren. Während der Schwangerschaft litt Frau L. unter Schuldgefühlen, da sie das Kind eigentlich nicht wollte. Es sei ein Wunschkind ihres Mannes gewesen.

Zu dieser Zeit habe sie zum ersten Mal "Männer mit Krokodilsköpfen" gesehen, die zu ihr sprachen. Der Sachverständige, der die Biographie der Beschuldigten routiniert entlang ausgewählter Stationen entfaltet, spricht an dieser Stelle von "Ambivalenzproblemen": Tradition vs. "europäische Frau". So ein Konflikt könne eine "Flucht in die Schizophrenie" begünstigen. Vor anderthalb Jahren soll Frau L., die sich als "Europäerin" fühlen wollte, mit dem Rauchen angefangen.

Sackgasse mit Zaunpfahl

Der Vorsitzende Richter wollte zurück zur Frage nach der Gefahr, die von Frau L. real ausginge. Nach strafrechtlicher Einschätzung sei die Einsichtsfähigkeit bei Frau L. aufgehoben, erklärte darauf der Gutachter und sagte: "Dass man sie aus der brennenden Wohnung herausholen musste, deutet auf nicht vorhandene Einsicht." Insofern sei aus "forensischer Sicht" eine Unterbringung "dringend notwendig". Auch die Möglichkeit eines psychotischen Rückfalls bei Rückkehr in das soziale Umfeld sah der Sachverständige: "Sie trifft auf wenig Verständnis in ihrem Bekanntenkreis. Sie ist mit der Erziehung der Kinder schlicht überfordert."

Nachdem die Kammer sich zu einer Beratung zurückgezogen hatte, erklärte der Richter, dass sich das Sicherungsverfahren auf die Brandstiftung beschränken würde, da der Anklagepunkt der gefährlichen Körperverletzung in diesem Verfahren nicht erhärtet werden konnte. Die Brandstiftung hingegen wurde als erwiesen erachtet, da Frau L. sich zum betreffenden Zeitpunkt in der Wohnung aufhielt. Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft hätte es zu einer schlimmeren Brandentwicklung kommen und diese auf die Nachbarwohnungen übergehen können. Er sprach von der "Vorsätzlichkeit der Brandlegung", räumte aber ein, dass die Beschuldigte für die Tat nicht schuldig gesprochen werden könne, da sie sich bereits in psychiatrischer Behandlung befände.

In seinem Plädoyer beschwor daraufhin der Staatsanwalt die Gefahr eines "erweiterten Suizids": Mit Blick auf die Kinder, die übrigens beim ersten Verhandlungstag als Zuhörer anwesend waren, müsse man nicht nur von einer Eigen- sondern auch von einer Fremdgefährdung ausgehen. Er beantrage daher beim Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Der Anwalt pochte in seinen abschließenden Ausführungen für seine Mandantin auf Haftprüfung. Er stellte in seinem Schlussplädoyer die Frage, warum aufgrund einer Erkrankung auf eine "weitere Gefahr", auf einen "erweiterten Suizid" geschlossen werden könne: "Gibt es denn tatsächlich eine konkrete Gefahr?"

Das Gericht schloss sich zuletzt in seinem Urteil der Staatsanwaltschaft an. In der Urteilsbegründung bestätigte es die Vorsätzlichkeit der Brandtat. Es sei von einem "bewussten Vorgang" auszugehen, da keine hinreichenden Löschversuche gemacht wurden. Da Frau L. sich zur Zeit der Tat aber in einer "akuten Phase der psychischen Erkrankung" befand, sei die Schuldfähigkeit aufgehoben. In Richtung des Anwaltes sagte der Richter nach dem Urteil, dass keine Historie von Straftaten für eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik von Nöten sei: "Eine Tat", so der Richter, "reicht aus zur Erreichung der Gefahrenschwelle."

Über den Autor des Beitrages:
Till Greite, M.A., geb. 1983 in Hamburg. 2003-2009 Studium der Neueren deutschen Literatur, der Medienwissenschaft und der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der HU- und der FU-Berlin sowie an der London Metropolitan University und der Sciences Po Paris.



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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