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Gerichtsreportagen


Mann tötete Geliebte

- Nach dem Urteil ist vor der Revision -

von Barbara Keller

22.1.2010, 1. grosse Strafkammer, Landgericht Cottbus
Im Verfahren wegen Totschlags gegen einen 58-jährigen Mann aus Doberlug-Kirchhain, der Anfang März letzten Jahres eine Frau bei einvernehmlichem Geschlechtsverkehr getötet und anschließend in ihrem Auto auf einem Rastplatz abgestellt haben soll(*), erging am 22.1.10 vor einer Kammer des Cottbusser Landgerichts das Urteil. Der kurdische, bislang unbescholtene Imbissbesitzer, der bis zuletzt beteuerte, seine Geliebte sei plötzlich tot zusammengesackt, wurde zu einer Haftstrafe von neun Jahren verurteilt. Das Tatmotiv hingegen, die Todesursache der Verstorbenen und der Tathergang muten in der Urteilsbegründung des vorsitzenden Richters Frank Schollbach seltsam konstruiert. Ein international renommierter Gerichtsmediziner, der einem Tod durch Ersticken im vorliegenden Fall widersprach und eine Luftembolie als mögliche Todesursache der Marlies K. ins Feld führte, wurde vom Gericht nicht gehört. (*)
'berlinkriminell.de' berichtete...

Veysel K. am Tag der UrteilsverkündungSchicksalsergeben nahm Veysel K. am Freitag letzter Woche das Urteil zur Kenntnis. Noch am Montag hatte sein Verteidiger Jens Mader wiederholt einen Beweisantrag eingebracht, den auf Erstickungstode spezialisierten Gerichtsmediziner Professor Bernd Brinkmann, Münster, als Zeugen zu hören. Brinkmann hatte nach Aktenlage wiederholt erklärt, Marlies K. sei mit hoher Wahrscheinlichkeit an einer Luftembolie gestorben. Einen Erstickungstod schloss der Experte für Erstickungstode dagegen aus.

Nach Version des Angeklagten, der soweit auch das Gericht folgte, lernte Veysel K. die Finsterwalderin, die in Doberlug in einem Lottoladen beschäftigt war, Anfang letzten Jahres kennen. Nach einigem hartnäckigen Werben soll Veysel K. bei Marlies K., die darauf sichtbar auflebte, auf Gegenliebe gestoßen sein.

Ein ganz normales Date

Beide waren indes verheiratet. Marlies K. lebte in einer problematischen Beziehung mit einem pflegebedürftigen Partner. Veysel K. sorgte für eine mehrköpfige Familie in der Türkei. Bereits beim ersten Treffen im Lieferwagen des Imbissbesitzers kam es zu einvernehmlichem Sex. Eine Woche später verabredete man sich wieder. Dieses Mal in der Wohnung von Veysel K. in Doberlug.

Nach Aussage des Angeklagten soll sich Marlies K. über die Kürze des Verkehrs beschwert haben und darüber, dass sie zu kurz gekommen sei. Vielleicht versprach sich Marlies K. von einer geschützten Atmosphäre in einem Wohnhaus mehr. Doch auch dieses Mal äußerte sich die Finsterwalderin, so die Aussage des Angeklagten, enttäuscht über ihren Liebhaber. "Was machst du denn da? Da ist ja wie ein Waschlappen!", warf sie Veysel K. vor.

Als es zur Sache ging

Was nach einem zweiten Anlauf und einigem Tee zwischen den beiden passierte, darin differiert die 1. Strafkammer in ihrer Urteilsbegründung. Veysel K. erklärt, Marlies K. sei, als es - auch auf ihren Wunsch hin - 'richtig zur Sache ging', aus unerklärlicher Ursache plötzlich weggesackt und war tot. Der vorsitzende Richter der Strafkammer Frank Schollbach führte indessen aus, dass eine Verletzung am Scheideneingang der Marlies K. auf die Verwendung eines Gegenstandes zurückzuführen sei. Auch wenn kein solcher Gegenstand gefunden werden konnte.

Als Marlies K. aus der Scheide blutete, hätte Veysel K. "erkannt, dass er einen Fehler gemacht hat". Damit nicht entdeckt würde, dass er nicht in der Lage sei, seine Geliebte zu befriedigen und um sie ruhig zu stellen, soll sich Veysel K. nun auf die vor ihm Kniende gelegt, ihren Kopf in die Decke gedrückt und sie in einer länger währenden Prozedur erstickt haben.

Zeichen für einen Todeskampf dagegen fanden sich am Opfer nicht und auch nicht an Veysel K., weder Verletzungen am Körper noch an den Fingernägeln. Auch Partikel der Decke, die Marlies K. im Kampf um Leben und Tod eigentlich eingeatmet haben müsste, waren in ihren Atemwegen nicht auszumachen. Die Nachbarn des hellhörigen Hauses sagten aus, an besagtem Nachmittag keine verdächtigen Geräusche gehört zu haben.

Vertuscht

Im sogenannten Tatnachverhalten stimmen Urteilsbegründung und Verteidigung äußerlich wieder miteinander überein. Veysel K. wäscht die tote Geliebte, bekleidet sie, bedeckt sie mit einem Tuch und legt sie auf die Rückbank ihres Autos. Dann stellt er den Wagen auf halber Strecke zwischen Doberlug und Finsterwalde ab, legt den Autoschlüssel auf den Beifahrersitz und geht fünf Stunden Fußweg nach Hause.

Später entsorgt er die blutige Auslegware im Sperrmüll, die Handtasche von Marlies K. an der Tankstelle ihrer Heimatstadt und ihr Handy am Krankenhaus in Doberlug. Veysel K. sagt, er sei überfordert gewesen mit der Situation. Die Schande vor seiner Familie, vor der kurdischen Community, die wenig erklärliche, peinliche Situation. Er habe Marlies K. einer in seinem Lande üblichen rituellen Waschung unterzogen und wollte alle Hinweise auf sich vertuschen.

Gestellt und ausgesagt

Veysel K., der zur Tatzeit ein kräftiger Mann mit dunklen Haaren war, so sagt seine Pflichtverteidigerin Erika Körner, ist im letzten halben Jahr um zehn Jahre gealtert, ergraut, hat 30 Kilogramm abgenommen. Veysel K. hätte nach der Tat in die Türkei fliehen können, in der auch seine Familie lebt. Die Türkei liefert nicht aus.

Stattdessen sucht Veysel K. die in familienrechtlichen Dingen involvierte Rechtsanwältin Körner auf. Er folgt ihrem Rat, stellt sich, verlässt sich auf das deutsche Recht und setzt sich den Fragen der Ermittler aus. Der überwiegende Teil der belastenden Aussagen stammt von ihm. Bereitwillig zeigt Veysel K. dem Gutachter auch sein Geschlechtsteil, um zu beweisen, dass von diesem kein Arg gegen Marlies K. ausgehen konnte.

Im Beisein von zeitweise acht weiblichen Ermittlern, berichtet Rechtsanwalt Mader, rekonstruiert Veysel K. anhand einer Puppe den Tathergang. Die Rekonstruktion wird gefilmt und während des Verfahrens als Beweismittel eingeführt. Veysel K. bricht während der Verhandlung schließlich psychisch zusammen.

Alternative Totschlag

Die 1. Strafkammer des Cottbusser Landgerichts hat Veysel K. wegen Totschlags verurteilt. Eine Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung mit Todesfolge zog sie nicht in Betracht. Denn nach Lage der Dinge erfolgte der Geschlechtsverkehr zwischen Marlies K. und dem Angeklagten einvernehmlich.

Auch eine Verurteilung wegen Mordes kam nach Lage der Dinge nicht in Frage. Heimtücke, niedere Beweggründe und ein Motiv zur Verdeckung einer Straftat schloss das Gericht aus. Denn, so der vorsitzende Richter Schollbach: "Bis zu diesem Zeitpunkt lag eine Straftat gar nicht vor."

Wenn das Cottbusser Gericht verurteilen wollte, blieb ihm nur das Delikt Totschlag. Es sah schließlich einen bedingten, indirekten Tötungsvorsatz im Handeln von Veysel K. und verurteilte ihn bei einem Strafrahmen zwischen fünf und 15 Jahren zu neun Jahren Haft.

Möglichkeit der Luftembolie nicht einmal erwähnt

Davon, dass Marlies K. möglicherweise an einer Luftembolie gestorben sein könnte, war in der Urteilsbegründung nicht die Rede. Und dass die Schwurgerichtskammer ablehnte, Dr. med. Dr. h.c. Bernd Brinkmann in dieser Sache nicht hörte, erklärte Richter Schollbach so: "Das Gericht hat Zweifel, ob Professor Brinkmann alle Akten vorgelegt wurden." Es vertraue ganz auf die Kompetenz der Brandenburger Rechtsmediziner, die Widersprüche, wie Prof. Brinkmann sie sah, jedenfalls nicht ausmachen konnten.

Rechtsanwalt Jens Mader und Pflichtverteidigerin Erika Körner haben bereits Revision gegen dieses Urteil eingelegt. Bis der BGH über den Antrag entschieden hat, wird Veysel K. weiter in der U-Haft in Cottbus verbringen. Das kann mindestens ein halbes Jahr dauern. Trotzdem eher ein Kamel durch ein Nadelöhr kommt, als ein Revisionsantrag durch den BGH positiv entschieden wird, ist Rechtsanwältin Erika Körner zuversichtlich: "Das Gericht hat den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt, indem es Professor Brinkmann nicht hörte. Damit hat es die Steilvorlage für eine Revisionsrüge geliefert, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens möglich macht."


NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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