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aus dem moabiter kriminalgericht


"Ein lustiger Abend"

- Prügelei in einer Diskothek um ein Mädchen: 18-Jähriger stach zehn Mal zu -

von Barbara Keller

26. Mai 2008. Moabiter Kriminalgericht. 18. Gr. Strafkammer.
Samstagmorgen, 1.12.2007, 2:00, Disko-Tempel DIX (Weißensee). Jakob M. (24) und Robert D. (23) haben sich auf der Tanzfläche Julia P. (18) und ihrer Freundin zugesellt. Sie flirten, bieten den Beiden ihr Bier an. Als Julias Liebster, Franz F. (18), und Kumpel Marten S. (18) sich intervenierend einmischen, kippt die junge, betrunkene Frau - vermutlich aus einer hysterischen Laune heraus - dem Werbenden sein Glas Bier ins Gesicht. Eine einschlägige Beleidigung, ein hässlicher Hahnenkampf, ein Klappmesser, eine Notoperation und nun eine Anklage folgen ...

Urteil vom 12. Juni 2008...

Nicole Z. (18) ist eine kleine, stämmige Frau, derzeit Tischlerlehrling. Sie trägt schwarze, blondgesträhnte, kurze Haare, ein weißes Kapuzenshirt mit geometrischem Muster in den Farben grün, grau, schwarz. Eine Jeans, Turnschuhe, weiße Jacke. Ihr Gesichtsausdruck wirkt beteiligungslos. Vor dem Richter ist sie heute eine wichtige Zeugin. Doch Nicole Z. kann sich an so gut wie nichts erinnern.

Dabei hielt auch Nicole Z. sich am 1. Dezember 2007 im Hip-Hop-Bereich des DIX auf. Eines Disko-Tempels in Weißensee mit mehreren Dancefloors, der auch mehrtägig öffnet. Genau zwei, drei Meter neben der Schlägerei tanzte sie, gleich neben der Bar. Aber Prügeleien sind, so sagt Nicole Z., keine Seltenheit im DIX. Deshalb guckte sie auch nicht so genau hin. Sie erklärt: "Weil ich ja eigentlich tanzen wollte."

Tanzen, mehr nicht

Während sich also in greifbarer Nähe Hitzköpfe wegen eines Mädchens an die Ohren gehen, andere sich erregt einmischen, ertanzt sich Nicole Z. nach einem unerfreulichen Ellenbogencheck mit einem der Raufenden einen Sicherheitsabstand. Die Prügelei verlagert sich in Richtung Ausgang, wo sie schließlich durch Türsteher beendet wird. Dann sieht Nicole Z. einen der Raufbolde weglaufen. Der andere, der eben noch auf dem Boden lag, tritt neben sie. "Er sah sehr blutig aus", berichtet sie.

Was Nicole Z. und Jakob M., so heißt der junge Mann, in diesem Moment noch nicht wissen: Jakob M. ist lebensgefährlich verletzt, verursacht durch Messerstiche seines Kontrahenten. Von den zehn Messerstichen, ein bis anderthalb Zentimeter breit und bis zu 20 Zentimeter tief, trafen mindestens zwei Stiche auch die Lunge und das Herz. Nur eine Notoperation kann dem jungen Mann das Leben retten. Von seinem Bruder Victor und einem Freund gestützt schafft Jakob M. es gerade noch eine Etage tiefer. Dort, im Techno-Bereich, bricht er zusammen.

Eineinhalb Zentimeter breit, 20 tief

Was genau sich in den frühen Morgenstunden des 1. Dezember 2007 in der Weißenseer Diskothek DIX abspielte, ist ein halbes Jahr später Gegenstand einer Hauptverhandlung am Berliner Landgericht. Angeklagt sind der bereits einschlägig ins Blickfeld der Ermittler getretene, seinerzeit beruflich ziel- und arbeitslose Franz F. sowie dessen nicht vorbestrafter Bekannter, Berufsvorbereitungsschüler Marten S. Beide aus Pankow. Die jungen Männer konnten vier Tage nach der Tat verhaftet werden. Franz F. befand sich gerade mit seiner Mutter auf dem Weg zu einem Rechtsanwalt.

Die Vorgeschichte. Am Freitag des 30. November 2007 treffen sich die Kumpels wie so oft bei Franz. Denn dieser hat bereits eine eigene Wohnung, in Pankow. Franz, der beruflich derzeit nicht disponiert ist und gelegentlich bei seinem Onkel, einem Fußbodenleger aushilft, hat an diesem Freitag nicht viel vollbracht. Aber er kauft ein, denn seine Freundin Julia will heute bei ihm übernachten.

Nach dem 'Vorglühen' der 'Fun'

Mit Julia ist vereinbart, dass sie mit einer Freundin tanzen geht und Franz sich einen schönen Herrenabend mit seinen Kumpels macht. Die Jungs trinken an diesem Abend Cola mit Wodka. Circa ein Fläschchen rinnt jedem von ihnen durch die Kehle. Als Julia dann sternhagelvoll bei ihm auftaucht, gibt es Streit, Tränen und nach der Versöhnung launig den finalen Entschluss, noch im DIX einen draufzumachen.

Franz gibt seinem Dispo mit einer Abhebung von 200 Euro den Gnadenstoß und ab geht es mit dem Taxi ins DIX. Dort treffen sie neben Freund Marten noch andere Bekannte. Marten hat sich, wie seine Freunde, in Schale geworfen: gelbes T-Shirt, orange Nikes, schwarze Cargo-Jeans und, die Krönung - eine Königskette aus Silber. Daran werden sich Zeugen später erinnern.

Als Julia mit ihrer Freundin tanzt, gesellen sich zwei gebürtige Russlanddeutsche zu ihnen. Man tanzt, schreit sich Belanglosigkeiten ins Ohr. Die Musik ist laut im Schummerlicht des Saales. Julia trinkt von dem ihr angebotenen Bier. Doch dann tritt Marten, der sich zuvor schon mit Christian wegen einer Exfreundin raufte, auf den Plan. Er macht die Fremden darauf aufmerksam, dass Julia bereits an seinen Kumpel vergeben ist.

Spaß an der Hysterie

Franz, der seit anderthalb Monaten mit Julia zusammen ist und sich zu verloben wünscht, übernimmt selbst die Regie. Von ihm, dem schmächtigen Milchgesicht, heißt es, dass er schnell in Rage kommt und dann selbst Mädchen keine Gnade fänden. Er reglementiert Julia. Sie soll aufhören, das Bier ihrer Tanzpartner zu trinken.

Warum Julia nun daraufhin Jakob M. das Bier ins Gesicht schüttet, weiß die junge Frau sicher bereits damals nicht. Aber als Reaktion setzt es eine Beleidigung, in der das Wort "Fotze" die tragende Rolle spielt. Und schon ist die Schlägerei im Gange. Allerdings hat Franz - als stärkeres Argument - das Klappmesser dabei, das ihm seine Mutter kürzlich schenkte. Franz liebt alte Sachen, hat das antike Stück gereinigt und geölt.

Nun rammt er es Jakob M. mehrmals in den Oberkörper, genau: zehn Mal. Und Freund Marten soll, bevor ihn der zu Hilfe geeilte Juri W. (24) beiseite stößt, bereits zu einem Tritt gegen den am Boden Liegenden ausgeholt haben.

Am Tag der Hauptverhandlung ist von Seiten Franz F. nicht viel Reue zu erleben. Auf "abartige, eklige Weise" hätten die "Russen" sein "Mädchen angebaggert", sagt er. Den Einsatz des Messers rechtfertigt er als Notwehr. Mit zwei Schlägen ins Gesicht brachte ihn Jakob M. angeblich zu Boden. Außerdem sei er, Franz F., enorm betrunken gewesen.

'Kann ich mir nicht vorstellen...'

Die skeptische Nachfrage des Vorsitzenden Richters Miczajka, warum er erst jetzt als schuldminderte Substanzen zwei Tabletten Ecstasy in Spiel bringt, beantwortet Franz F. so: "Damit meine Freundin das nicht erfährt und weiter zu mir hält."

Marten S., der in der besagten Tatnacht noch bis 6:00 weitertanzte und einer der Letzten auf der Tanzfläche war, erklärt, sich an nichts mehr erinnern zu können. "Wegen dem Alkohol auf jeden Fall", sagt er. Und zu dem Tatvorwurf: "Kann ich mir nicht vorstellen. Weiß ich nicht. Aber ich hab's nicht gemacht." Alles, was er über diesen Abend, diese Nacht zu sagen weiß, ist: "Es war ein lustiger Abend."

Urteil vom 12.Juni 2008:
Nach insgesamt vier Terminen und weiteren unsicheren Zeugenaussagen ging das Verfahren am 12. Juni 2008 zu Ende. Nicht einer der Besucher der Diskothek DIX, noch in der Tatnacht anwesende Freunde der Beteiligten hatten halbwegs sichere Aussagen über den Hergang der Auseinandersetzung machen können. So wurde bereits am dritten Tag der Hauptverhandlung das Verfahren gegen Merten S. eingestellt.

Am Ende blieben als einzig gesicherter Beweis das Geständnis des Angeklagten Franz F., auf das Opfer Jakob M. eingestochen zu haben und eine Anzahl Indizien. Darauf aufbauend lautete zuletzt das auf Grundlage des Jugendstrafrechts verhängte Urteil gegen Franz F.: zwei Jahre und sieben Monate Haft wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Der Haftbefehl wurde aufgehoben, sodass sich Franz F. nun selbst der Haft bei Termin stellen darf.

Mildernd wurden dem Angeklagten seine durch den psychiatrischen Gutachter Dr. Werner Ascherl festgestellte Reifeverzögerung angerechnet, eine durch Alkohol und den (möglichen) Konsum von Ecstasy verursachte erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit sowie die Bereitschaft der Reue und die Zahlung einer erheblichen Summe (4.000 €) an den Geschädigten, der noch weitere 2.000 € in Raten folgen werden.

Die Kammer unter Vorsitz von Richter Miczajka zeigte sich erschrocken über den offenbar nicht unter wenigen Jugendlichen verbreiteten hohen Alkoholkonsum und den Irrglauben, ein Messer sei ein probates Mittel der Gefahrenabwehr. Ein populäres Abschreckungsurteil zu fällen, hielt die Kammer aus rechtlichen und ethisch moralischen Gründen für abwegig.

Dem Verurteilten gab Richter Miczajka mahnend mit auf den Weg: "Sie haben es jetzt selbst in der Hand, den Strafverlauf günstig zu beeinflussen."

Die Diskothek DIX auf Youtube:



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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In einer Auseinandersetzung wegen eines Mädchens versetzte Franz F. in der Diskothek DIX einem jungen Mann zehn Messerstiche in den Oberkörper. Merten S. (Bild) ist angeklagt, auf den am Boden liegenden, lebensgefährlich Verletzten eingetreten zu haben.


Jakob M. geriet ungewollt in Konkurrenz zu Franz F. und brachte durch einen Faustschlag eine Rangelei in Gang, aus der heraus Franz F. ihn mit zehn Messerstichen lebensgefährlich verletzte.


Rechtsanwalt Carsten Hoenig, der in der Nebenklage das Opfer Jakob M. vertritt, äußerte sich nach der Sitzung enttäuscht über die mangelnde Reue besonders des Angeklagten Franz F. Er tadelte: "Stattdessen tischt er dem Gericht eine Lügengeschichte nach der andern auf, um sich und seine feige Tat zu rechtfertigen. Offenbar ist der Angeklagte der Ansicht, dass das Opfer an den zehn Messerstichen selbst schuld ist."

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