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Drückerkolonnen, Kloppertruppen -
ein Drücker steigt aus


von Barbara Keller

21. Juni 2007. Amtsgericht Tiergarten. Abtlg. 258
Am 18. August und 7. September 2005 unterschreiben in Berlin Mitte und Berlin Hellersdorf zwei ältere Damen ein vermeintliches Zeitschriftenabonnement. Ein schicksalsschweres Haustürgeschäft. Denn in Wirklichkeit hat Peter W.* den gutgläubigen Frauen ein Überweisungsschreiben über 4.500 Euro und 3.500 Euro vorgelegt, dessen Empfänger er ist. - Peter W.*, Drücker' in einer der berüchtigten 'Kloppertruppen', ist verzweifelt. Er will aussteigen, sich freikaufen.

Haustürwerber, wer hat sie nicht schon verflucht. Werber, die Ihnen an der Haustür Versicherungen, Telefonverträge, Staubsauger, Zeitschriften andrehen wollen. Werber, im Volksmund auch "Drücker" genannt, kommen in der Regel höflich penetrant daher und hinterlassen im Erfolgsfall die Kopie eines unterschriebenen Vertrags meist unerwünschten Inhalts.

Dass die Drücker selbst oft unter enormem Erfolgsdruck stehen, ist weniger bekannt. "Suche junge Mitarbeiter für leicht erlernbare Promotiontätigkeit. 300 bis 400 Euro wöchentlich möglich", so locken Werbefirmen labile junge Leute. Oft junge Menschen mit familiären Problemen und Geldsorgen.

Sind sie erst einmal in der Tretmühle einer Kolonne gelandet, ist ein Wegkommen nicht mehr so einfach. Der Grund sind meist finanzielle oder emotionale Abhängigkeiten. Erbringt der Drücker nicht die gewünschte Leistung, setzt es verbale Ausfälligkeiten, aber auch Zwang durch Schläge, Essensentzug und Vergewaltigungen kommen vor. In einem Internet-Forum schreibt ein ehrlicher Ex-Drücker: "Die Meisten (Drücker d. R.) sind ganz arme Schweine und kommen meist nur mit großen Problemen wieder raus."

Auch Peter W.* (25) war so ein "armes Schwein", als er im Spätsommer 2005 versucht, seiner Zeitungen vertickenden Drückerkolonne zu entkommen. Peter W.* ist ledig, Vater eines sechsjährigen Mädchens, das bei seinen Eltern aufwächst. Sein Leben hat er alles andere als im Griff. Im Sommer 2005 flüchtet Peter W.* vor den brutalen Geflogenheit seines Jobgebers nach München. Doch sein Kolonnenführer spürt ihn auf und schleppt ihn zurück nach Berlin.

Immense Schulden, angebliche Werbekosten, binden ihn an die Kolonne. Da kommt Peter W.* auf die Idee, sich das Geld von leichtgläubigen Kunden zu holen, um sich freizukaufen. Innerhalb von drei Wochen nötigt Peter W.* drei ältere, leichtgläubige Damen, angeblich ein Zeitungsabonnement bei ihm zu zeichnen. Doch statt des Abos setzen die Rentnerinnen ihre Unterschrift unter schnöde Überweisungsscheine. 4.500 Euro und 3.500 Euro fließen so auf das Konto von Peter W.*, der das Geld an seinen Jobgeber weitergibt.

Anderthalb Jahre später muss sich Peter W.* wegen Betrugs und Urkundenfälschung vor Gericht verantworten. Als die Richterin den jetzt von Hartz4 lebenden Angeklagten um eine Erklärung zu den Vorwürfen bittet, antwortet Peter W.*: "Wees ik nich, ob ik da jewesen bin. Aba der Rest stimmt, wat da erzählt wurde. Wie jesacht."

Peter W.*, der nicht unintelligent wirkt, ist wortkarg, kaum zu verstehen. Er macht den Eindruck, als wolle er alles so schnell als möglich hinter sich bringen. Die Richterin ist verärgert: "Wollen Sie damit sagen, dass Sie die Tatvorwürfe einräumen?" Peter W.* emotionslos: "Ja, dit stimmt so."

Die Vorsitzende Richterin geht fast aus dem Anzug. Warum, so fragt sie ihn, muss es dann diesen zweiten Prozesstermin geben, warum die weiteren Ermittlungen, warum mussten Zeugen geladen werden? Die Richterin: "Unten in der Zeugenbetreuung sitzt eine 83-jährige Oma und Geschädigte, die völlig aufgelöst ihr Taschentuch knetet." Die andere Geschädigte sei bereits gestorben. Warum habe er nicht im Prozess vor drei Monaten bereits Klartext reden können?

Peter W.*, der sich unangenehm in die Ecke gedrängt fühlt, antwortet: "Wat soll ik denn jetzt sagen?" - Der Prozess kann allerdings daraufhin flott zu Ende gehen. Ein an Entsetzen grenzendes Staunen erntet zuletzt noch die Erklärung von Peter W.*, eine kürzlich vom Arbeitsamt finanzierte Weiterbildung zum Altenpfleger abgeschlossen zu haben. Aber Peter W.* ist bislang eben auch nicht vorbestraft. Fünf Monate Haft auf zwei Jahre Bewährung ausgesetzt lautet schließlich das Urteil. Verbunden mit der Auflage, innerhalb eines halben Jahres 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit zu leisten.

"Dann wollen wir Sie hier nicht mehr sehen!", schließt die Vorsitzende Richterin die Verhandlung, lächelt zum ersten Mal und der Prozesszuschauer hofft, der Hals über Kopf den Gerichtssaal verlassende Peter W.* möge diese Botschaft verstanden haben.

*Name von der Redaktion geändert


NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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Peter W.* betrog zwei Berliner Rentnerinnen um 8.000 Euro, um der Drückerszene als Zeitschriftenver-
käufer zu entkommen.

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