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aus dem moabiter kriminalgericht


"So und nicht anders!"


von Barbara Keller

26.01 2007. Amtsgericht Tiergarten, Abt. 253
Dienstag, 10. Januar 2006. Ein Nokia-Shop in Glienicke. Kunde Nurettin A. (34) führt sein 880,00 Euro teures, zwei Monate altes Nokia-Handy vor: defekt. Noch immer. Ein weiteres Update mit dem erneuten Verlust aller persönlichen Daten möchte er nicht hinnehmen. Ein mürrischer Nokia-Händler, eine Serie von "haben-wir-nicht", "geht-nicht", "machen wir nicht", ein abschließendes "so und nicht anders!" fordern den Unmut des Kunden heraus. Schließlich fliegt ein Handy durch die Luft, wird eine Rigipswand durchschlagen, verabreicht der Nokia-Händler dem Kunden einen Ellenbogencheck: die Polizei muss kommen. Ein Jahr später soll sich Nurettin A. wegen Sachbeschädigung vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten.

Auf den Plastikschalensitzen des trostlosen Landgerichtsflurs sitzen in gebührlichem Abstand ein junges Mädchen und ein türkischer Mann. Sie: mittelgroß, langes, mittelblondes Haar, zurückhaltend, freundlich. Er: auch mittelgroß, gedrungen, muskulös, gediegene Solariumsbräune, spärlicher Haarwuchs. Entschuldigend lächelnd versucht der Mann ein Gespräch: "Da haben Sie sich damals wohl ganz schön erschrocken", fragt er vorsichtig.

Aber die junge Frau antwortet ganz freimütig und offen. Ein entspanntes, dahinplätscherndes Gespräch beginnt mit: "Ich hätte Sie beinahe gar nicht erkannt." - Die Beiden, Juliane K. (20) und Nurettin A., sind sich vor einem Jahr schon einmal begegnet. In weniger harmlosen Zusammenhängen. Nurettin A. mimte seinerzeit den Tarzan. Und das ging so.

Zeit ist Geld

Es ist ein wunderschöner verschneiter Wintertag im Januar. Am Dienstag, dem 10.1.2006, scheint zwar nicht die Sonne, aber eine gediegene Schneedecke verleiht dem klirrenden Frost Milde. Nurettin A. hat vor zwei Monaten ein Nokia-Handy im Wert von 880,00 Euro geschenkt bekommen. Die Freude an dem teuren Gerät währt nicht lange.

Es ist defekt. Nachdem ein Update in einem Nokia-Shop vor einer Woche keine Abhilfe schafft, sucht Nurettin A. zum zweiten Mal einen Nokia-Servicepoint auf. Die freundliche, junge Mitarbeiterin, Juliane K., bietet dem verstimmten Kunden ein weiteres Update an. Aber Nurettin A. möchte seine persönlichen Daten kein zweites Mal verlieren. - Juliane K. ist ratlos, als sich auch schon ihr Chef in das Gespräch einschaltet.

Geht nicht!

Der kleine, eher schmächtige Mann, dessen wichtigste Devise, so Juliane K., lautet "Zeit ist Geld", sucht den Kunden autoritär zusammenzustutzen: ein Update mit Datensicherung "kostet extra". Ein Ersatzhandy, nein, Ersatzhandy, nagut, ein Ersatzhandy ist da. - Nurettin A. später vor Gericht: "So einen alten Knochen brachte der an!" Dann ließ der resolute Nokia-Händler zum wiederholten Male wissen: "So und nicht anders!"

Nach langem unfruchtbarem Ringen - auch um seinen Stolz und seine Würde - will Nurettin A. schließlich eine andere Filiale aufsuchen: "Der Mann war so unsympathisch und desinteressiert", sagt Nurettin A. später. - Doch nun reißt der Chef des Nokia-Shops den Handyvertrag des Kunden an sich und kommandiert: "Verlassen Sie sofort das Geschäft!"

Raus!

Als jetzt das alte Nokia-Handy, sprich "der alte Knochen", durch die Luft fliegt und rückseitig eine Rigipswand durchschlägt, beginnt die irritierte Juliane K. zu weinen. Nach einer ersten Tätlichkeit des Chefs kommt es zwischen den Herren zu einem Handgemenge, das die Präsenz der Polizei nötig macht. Als der heute beschäftigungslose Nurettin A. sich am 26.1.07 vor Gericht verantworten muss, lautet die Anklage auf Sachbeschädigung. Der von der Staatsanwaltschaft veranschlagte Schaden liegt bei 229,00 Euro.

Die Richterin des Amtsgerichts gesteht dem Angeklagten nach Anhörung der Zeugin Juliane K.: "Ich war überrascht. Ich hätte eigentlich eine andere Aussage erwartet." - Juliane K. sagte aus, ihr Chef sei ein unduldsamer Händler. Während ihres einjährigen Beschäftigungsverhältnisses hätte es zahlreiche, durch ihn provozierte Polizeieinsätze gegeben. Sie erklärt: "Ich konnte viele Ausbrüche der Kunden nachvollziehen." Nach zwölf Monaten streicht die junge Frau die Segel und nimmt einen anderen Job an: "Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten."

Ein Geschenk

Provoziert oder nicht. Dennoch bleibt das Loch in der Rigipswand, die Aktenlage. Um die Sachbeschädigung kommt Nurettin A. nicht herum. Deshalb macht die Richterin ihm ein, wie sie sagt, "Geschenk": Einstellung des Verfahrens gegen die Übernahme der Rechtsanwaltskosten durch ihn, Nurettin A.

Erst nach einigem Einwirken seines Rechtsbeistandes versteht Nurettin A. das "Geschenk" und willigt ein. Sein verletzter Stolz wird indessen eine Anzeige wegen Körperverletzung gegen den unfreundlichen Nokia-Händler auf den Weg bringen. - Der seinerseits ließ sich übrigens wegen gesundheitlicher Probleme am Tag der Hauptverhandlung entschuldigen.



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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