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aus dem moabiter kriminalgericht
Alles verzockt
von Barbara Keller
29. Dezember 2005. Kriminalgericht Moabit. 20. Gr. Strafkammer.
Adrian K. (26) ist einer der mehr als Hunderttausend Spielsüchtigen Deutschlands. Was des Einen Freude, Berlin kassiert jährlich circa 75 Mio. Euro Bruttoeinspielerträge, ist des anderen Leid: Adrian K. hat horrende Schulden, privat und bei den Banken. Er 'verspielte' Wohnung, Freunde und Geliebte. Zumeist an den Automaten, die übrigens rund 80% der Spielsüchtigen bei der Stange halten. Jetzt hat er mal wieder einen gemeinschaftlichen Getränkediebstahl hingelegt. Im miniMAL der Thiemannstraße (Neukölln). Als Kavaliersdelikt geht das nicht mehr weg.
Isam H. (46) ist Kaufhausdetektiv im miniMAL in der Thiemannstraße. Als er am 1. September 2005 gegen 16:00 die beiden jungen Männer in der Getränkeabteilung beobachtet und sieht, wie der Größere mit einer Geschenkpapierrolle die Kamera beiseite schlägt, weiß er, 'dass gleich
etwas abgeht'.
Tatsächlich stecken sich die Männer diverse Spirituosen ein. Der Kaufhausangestellte eilt sofort in den Eingangsbereich des Marktes, um sie zu stellen. Er konzentriert sich auf Adrian K., denn der scheint ihm, weil schmächtiger, leichter zu überwältigen. Doch Adrian K. wehrt sich, als ginge es um sein Leben. Isam H.: "Das habe ich während der sechs Jahre, die ich hier arbeite, noch nicht erlebt!"
Als der Ladendieb Isam H. droht, ihm die Whisky-Flasche über den Kopf zu ziehen, lässt er ihn laufen. Pech für Adrian K.: Gerade betritt Mario P. (32) das Geschäft. Er ist Polizeibeamter. Geistesgegenwärtig schiebt er dem Flüchtenden seinen Einkaufswagen in den Weg. Gemeinsam mit Isam H. bringt er den 26jährigen zu Boden, der ihm prophezeit: "Fick dich, fick dich! Ich werde dich privat treffen und dann schlage ich dich kaputt!"
Unterdessen ist der Komplize entkommen. Der Schaden für miniMAL ist "minimal", liegt bei circa 35 Euro. Am 29. Dezember 2005, drei Monate nach der Tat, steht Adrian K. vor dem Kadi. Die Anklage lautet 'schwerer räuberischer Diebstahl'.
Spielsüchtig wie die Mutter
Adrian K. ist ein smarter, schmächtiger junger Mann, der während der Anklageverlesung durch die Staatsanwaltschaft feist ins Publikum grinst. Nein, einen Komplizen habe es nicht gegeben. Und niemals hätte er dem Kaufhausdetektiv schaden wollen.
Doch dann bröckelt die Fassade. - Als die Sprache auf seine Spielsucht kommt: Adrian K. ist einer der mehr als Hunderttausend Spielsüchtigen Deutschlands. Eigentlich ist er ein intelligenter Bursche. Die praktische Prüfung zum Einzelhandelsverkäufer besteht er mit 89% Punkten. Wenn er da ist, macht er seinem Ausbilder nur Freude.
Auch ohne Geld in die Spielhalle
Aber meistens steht Adrian K. in der Spielhalle an den Automaten. Er hat seine Wohnung, seine Liebste, seine Freunde verloren. Wenn er nicht spielen kann, ist er krank. Dann geht er trotzdem in die Spielhalle und sieht den Glückchen zu, die noch was zu verzocken haben. Und manchmal springt dann aus Mitleid auch noch mal was für ihn ab.
Mit 15 Jahren begann Adrian K. zu spielen. Auch seine Mutter ist spielsüchtig. Seine Schulden, privat und bei den Banken, gehen in die Hunderttausende. Sagt Adrian K., dessen Vorstrafenkarriere Mitte der 90er einsetzt. Immer wieder geht es um gemeinschaftlichen Diebstahl von Spirituosen. Als er das Ding im miniMAL dreht, steht noch eine sechsmonatige Bewährung offen.
Der vom Gericht bestellte psychologische Gutachter Christian Winterhalter (47) gibt Adrian K. eine Chance in Bezug auf eine positive Sozialprognose nur bei einer differenzierten Langzeittherapie: "Stationär natürlich." - Und Adrian K., der auch jetzt in der Haft zockt, wie er sagt, gibt zu, dass er sofort wieder spielen würde, wenn er herauskäme.
Letzte Chance
Nun gibt das Gericht Adrian K. noch einmal eine Chance. Auch wenn das Urteil 'zwei Jahre Haft wegen schweren räuberischen Diebstahls' zunächst nicht danach klingt. Zumal auf diese zwei Jahre ja noch drei Monate Haft von der 'verspielten' Bewährung dazukommen. - Aber Adrian K. erhält Haftverschonung und kann sich, wenn er denn die Gelegenheit beim Schopf packt, jetzt um eine Therapie kümmern. Ein Aufschub des Haftantritts wäre möglich. Später könnte er als 'Freigänger' auch seine Lehre zu Ende bringen.
Das liegt jetzt bei Adrian K., auf den auf dem Flur des Landgerichts zwei Freunde warten. Darunter die Schwester seiner ehemaligen Liebsten, die während der Verhandlung kaum die Tränen zurückhalten kann.
Hilfe und Selbsthilfe für Spielsüchtige:
Gruppentreffen-Meetings ANONYME SPIELER GA
10245 Berlin Friedrichshain
c/o Volkssolidarität
Boxhagener Str. 89
Freitag 17:00-19:00
172-3233700 Peter
10709 Berlin
c/o Sekis
Albrecht Achilles Str. 65
Dienstag 20:00-22:00
1.Meeting im Monat offen
Gruppentreffen-Meetings SPIELER SELBSTHILFE-GRUPPEN
10115 Berlin
Cafe Beispiellos, Caritas
Große Hamburger Str. 18
Montag 17:30-20:30
Donnerstag 17:30-20:30
Tel: 030/66633464
12621 Berlin
Alkoholfreies Begegnungscentrum
Mädewalder Weg 27
Dienstags 19:00
030 -5665799
Rainer Thiel +Dirk Barner
NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3
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Freunde des Angeklagten. Die Schwester von Adrian K.s ehemaliger Freundin (re.): "Adrian ist kein schlechter Mensch. Aber er hat sich durch die Spielsucht alles kaputt gemacht."
Nachwuchsstuden- ten des juristischen Fachs im Publikum meinen: Gerichte sollen härter durchgreifen.
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In eigener Sache:
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