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Hier lasen Sie im Herbst 2007 in wöchentlicher Folge Axel Bussmers Debütkrimi "Ein bisschen Luxus".
Jeden Montag neu...

krimidebüt mit folgen...

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Axel Bussmer, "Ein bisschen Luxus" (3/28)


Kurz vor elf Uhr kam der Kellner mit der Rechnung. Sie waren die letzten Gäste. Die Touristen lagen bereits in ihren Betten. Die Allensbacher waren eine Wirtschaft weitergezogen.
"Kommst du noch mit?"
"Nein. Ich habe morgen früh eine Verhandlung. Da will ich ausgeschlafen und in frischen Kleidern auftauchen."
Diana nickte. Sie gaben sich einen intensiven Kuss und trennten sich. Sie schlenderte den Strandweg zurück zu ihrem Haus. Von den zwei Viertele, immerhin ein halber Liter Wein, war sie angenehm beduselt. Linkerhand hörte sie leise den Verkehrslärm von der B 33. Kurz vor Mitternacht fuhren nur noch wenige Autos über die Bundesstraße. In einigen Häusern liefen Fernseher. Das Gequatsche der Moderatoren und Gäste vermischte sich mit den sich am Ufer brechenden Wellen. Nicht laut. Nicht heftig. Sondern nur ein leises plätschern von Wasser auf Steinen.
Diana vergrub ihre Hände in den Hosentaschen und sog die Nachtluft tief ein. Vielleicht würde sie in dem Haus ihrer verstorbenen Eltern noch einen Schluck Wein trinken. Etwas Jazz hören. Miles Davis vielleicht. Oder Bill Evans. Jedenfalls etwas Ruhiges. Und dabei, im Dunkeln sitzend, auf den See starren. Alleine mit ihren Gedanken.

Dienstag, 9. August
Kapitel 3

Während ihres Frühstücks, vier Tassen schwarzer Kaffee und halbtrockenes Graubrot mit selbstgemachter Erdbeer-Marmelade, klingelte ihr Telefon.
"Diana Schäfer."
"Guten Tag, Frau Schäfer. Linus Schroff hier. Jörg hat mich gerade angerufen. Er sagte, sie ermitteln in der Vermisstensache Robert Brandt."
"Seine Eltern waren gestern bei mir und ich habe ihnen versprochen, mich umzuhören."
"Sieht schlecht aus. Wir können nur warten."
"Hm."
"Sie wollen nicht?"
"Nein. Roberts Eltern sind fertig mit den Nerven."
"Ich weiß. Es ist nur – Ach, ich bin den ganzen Tag im Büro. Papierkram. Kommen Sie also vorbei."
"Sie sind in Konstanz?"
"Genau."
"Ich kann in zwanzig Minuten da sein."
"Schön."

Diana fand das Büro von Linus Schroff auf Anhieb. Er war ein etwa fünfzigjähriger, übergewichtiger Mann mit kurzen dunklen Haaren. Er trug eine Lesebrille und hatte einen kräftigen Händedruck.
"Tja, wenn Sie mit den Eltern gesprochen haben, wissen Sie eigentlich alles."
"Haben Sie wenigstens eine Idee, wo er sein könnte?"
Schroff dachte noch einmal über den Fall nach. Über die von ihm verfolgten Spuren. Die Befragungen. "Nein. Ich hoffe, dass er in einigen Wochen vor mir steht und von seinem Urlaub im Süden erzählt. Ich befürchte, irgendwann vor seiner Leiche zu stehen."
"Hier im Landkreis?"
"Nun, zuletzt wurde er an einem Dienstag gesehen. Ein Mitbewohner, äh, ich kann Ihnen nachher seinen Namen geben, hat ihn beim Mittagessen gesehen. Danach fuhr Robert Brandt mit dem Bus zur Uni."
"Warum nicht mit dem Auto?"
"Keine Ahnung. In der Uni wurde er während der Vorlesung gesehen. Die ging bis vier Uhr. Danach hat ihn niemand mehr gesehen."
"Also ist er in der Universität verschwunden."
"Nein. Zuletzt gesehen. Er kann mit jemand mitgefahren sein. Einen Bus benutzt haben. Die Fähre nach Meersburg benutzt haben. In einen Zug gestiegen sein."
"Aber es gibt keine Spuren?"
"Wir haben uns umgehört. Aber niemand hat ihn gesehen. Allerdings sind inzwischen so viele Touristen unterwegs; da fällt ein normaler Student nicht auf."
"Ja." Diana erinnerte sich an die Bilder, die sie von den Brandts gestern Abend bekommen hatte. Robert war ein ganz gewöhnlicher Junge. Etwas über einen Meter siebzig, schlank, dunkle, kurzgeschnittene Haare, braune Augen, normalerweise rasiert, keine besonderen Kennzeichen. Der Alptraum für eine Suche.
"Wir haben auch mit seinen Freunden gesprochen. Aber nichts."
"Auch keine Andeutungen? Hinweise?"
"Nichts, was mich weitergebracht hätte. Frau Schäfer, er ist ganz einfach spurlos verschwunden. Ich hoffe, auf einen Anruf von ihm oder seinen Eltern, bei dem sie mir sagen, es sei alles in Ordnung. Robert habe nur einige Wochen mit einer Freundin am Strand verbracht."
Freund, dachte Diana. Aber sie korrigierte ihn nicht.
Schroff lehnte sich zurück: "Ich befürchte, dass ich mir eines Tages sein Skelett im Wald ansehe."
"Sie haben die Straßen abgesucht."
"Flüchtig. Denn solange wir nicht wissen, wo wir suchen sollen, bekomme ich dafür keine Männer."

Kurz nach elf Uhr klingelte Diana an Robert Brandts WG-Tür. Nach dem dritten Klingeln öffnete eine verschlafene junge Frau. Ihre kurzen blonden Haare standen wild in alle Himmelsrichtungen ab. Das Nine-Inch-Nails-T-Shirt hing locker über ihrem kleinen Busen. Anscheinend hatte sie sonst nichts an.
"Ja?"
"Guten Tag. Ich bin Diana Schäfer."
"Kaufe nix.", grummelte die Blonde.
"Es geht um Robert. Ich soll ihn suchen."
"Ach, ja, dem seine Alten waren die Tage hier. Er sagte, er wird eine Detektivin beauftragen."
"Genau. Mich."
Die Blonde zuckte desinteressiert mit ihren Schultern. Dann nickte sie mit ihrem Kinn in Richtung Wohnungsflur.
"Na, dann komm rein." Sie trat einen Schritt beiseite und Diana trat in einen breiten, dunklen Gang, von dem mehrere Zimmer abgingen. Bis 1979 war in der 1936 erbauten Cherisy-Kaserne eine Garnison der Franzosen stationiert gewesen. Danach wurde das Gelände zu einem typischen links-alternativen Wohnprojekt, bei dem Verträge aus einer unglücklichen und für Anwälte alptraumhaften Mischung aus mündlichen Absprachen, Bett- und Beziehungsgeschichten bestanden. Jedenfalls waren die Zimmer groß und billig. "Willst du einen Tee? Roberts Zimmer ist da."
Während die Blonde barfuss in Richtung Küche tapste, deutete sie auf eine verschlossene Tür.
"Gerne." Diana folgte der Blonden den Flur hinunter. An beiden Seiten standen Kleiderschränke und Kommoden. Dazwischen waren Fahrräder, Skateboards, ein Surfbrett und ein eingepacktes Schlagzeug gezwängt. An den Türen standen die Namen der Bewohner.
Die Küche war ein großer Raum auf der linken Seite des Flures. Etwa in der Mitte. Die Küchenzeile nahm eine Wandseite ein. In der Mitte stand ein riesiger Holztisch. Auf ihm ein Brotkorb, Butter, eine Dose mit Wurst und Schinken und eine Teekanne.
Die Blonde setzte sich. Gähnte ausgiebig und streckte sich: "Tschuldigung. Ich bin ein Morgenmuffel."
"Kein Problem."
"Tassen sind dort. Linke Schranktür."
Diana holte sich eine Tasse mit einem PDS-Logo. "Können wir jetzt über Robert reden? Oder später?"
"Nee, du, setzt dich."
"Wie heißt du?", fragte Diana, während sie sich etwas von dem Grünen Tee eingoss. Sie hasste Grünen Tee. Aber sie sah keinen anderen Weg, mit dem blonden Morgenmuffel ins Gespräch zu kommen.
"Elena Heiden. Aber alle sagen Ela zu mir."
"Freut mich. Diana Schäfer."
"Mein Kopf funktioniert schon. Ich brauch’ einfach nur morgens meinen Anlauf. Und gestern wurde es spät."
"Gefeiert?"
Elena winkte ab. Frag’ bloß nicht.
"Robert." Sie trank einen Schluck Tee. "Ich hab’ den Bullen schon alles gesagt. War immer nur einer da. So ein alter Sacke."
"Linus Schroff.", sagte Diana und schlug ihr hosentaschengroßes, schwarzes Notizbuch auf.
"Genau. Boah, wie mein Alter. Wie kannst du nur in einer WG leben? Mit den ganzen Linken? Der ist ausgeflippt, als er die PDS-Tasse sah. Und das Klo war ihm zu schmutzig. Aber das schlimmste war für ihn unser Spinner."
"Hm?"
"Studiert im ich-weiß-nicht-wievielten Semester ich-weiß-nicht-was, hat arschlange Haare, kifft und quatsch halt manchmal Blödsinn."
"Ist wohl das Faktotum der Uni?"
"Nee. Da lässt er sich nie blicken." Ela schnappte sich eine Scheibe Brot und klatschte mehrere Scheiben Aufschnitt drauf. "Wenn du was Essen willst."
"Nein. Danke."
"Genau, du bist ja wegen Robert da. Tja, ich hab’ ihn länger nicht gesehen. Also, ich meine, länger als die anderen. In der Woche war ich in Zürich. Bei Freunden."
"Ich will mir sowieso zuerst ein Bild von ihm machen. Wie er so war."
"Nett."
"Nur nett?"
"Hm, ja. Nur nett. Er half immer. Feierte mit. Putzte, wenn er an der Reihe war. Spülte sein Geschirr. Hörte okaye Musik. Und versuchte möglichst schnell mit dem Studium fertig zu werden."
"Hatte er einen festen Freund?"
"Ich glaube nicht." Ela trank einen Schluck Tee. "Weißt du, wir leben zwar in einer Wohnung, kaufen auch gemeinsam ein, aber sonst. Nun, die Zeiten von großartigen WG-Sitzungen, gemeinsamen Abendessen, und so; - die sind vorbei. Gottseidank. Vorher war ich zwei Etagen höher in so einer WG. Hab’s kein halbes Jahr ausgehalten. Aber hier bin ich jetzt seit vier, nein, schon seit fünf Jahren. Ist einfach cool."
"Und Robert?"
"Hm, der ist seit so zwei Jahren hier. Zog nach seinem Praktikum hier ein. Müssen die von der Uni aus machen. Wir wollten ihn zuerst nicht nehmen. Dachten, er sei zu brav. Aber er konnte die Miete bezahlen. Bei den anderen, wussten wir das nicht so genau."
"In zwei Jahren lernt man sich doch jemand kennen?"
"Ihn nicht. Wir hatten nicht soviel gemeinsam. Ich steh’ mehr auf die düsteren Sachen. Er war da softer. Soul. Funk. Etwas Rock. Na, hauptsächlich Schwulenmusik. Ich studier’ Englisch und Deutsch, auf Lehramt. Er Verwaltungswissenschaft. Da hat man keine gemeinsamen Kurse. Keine gemeinsamen Profs. Tja, und mit meinen Freunden konnte er nichts anfangen."
"Immerhin habt ihr zwei euch für Männer interessiert."
"Schon. Wenn sie verschieden gepolt waren."
"War er die Tage und Wochen vor seinem Verschwinden irgendwie anders?"
"Wie anders? Du, wenn du noch Tee willst?"
"Nein, danke."
"Ich kann dir auch einen Kaffee machen."
"Ist nicht nötig."
"Gut. Hab’ nämlich keine Ahnung, ob Klaus Kaffee gekauft hat. Na, egal. Bei Robert hab’ ich nichts bemerkt. Weißt du, er hat nicht soviel geredet."
"Weißt du, wovon er träumte?"
"Sein Lebensziel?"
"Genau."
"Nun, er hat mal gesagt: Eine Million bekommen, gut anlegen und sich dann mit einem Mann zur Ruhe setzen. Irgendwo im Süden."
"Den Traum hat doch jeder."
"Hm, schon." Ela fuhr sich nachdenklich durch die Haare. "Nur, ich denke, er hätte alles dafür getan."


Axel Bussmer beim Ausbrüten feinteiliger Straftaten (rein literarischer Natur)
AXEL BUSSMER
iM INTERVIEW


(mit ULrike Duchna, Franka Plaschke und Barbara Keller im AREMA/Moabit
vom 31.07.2007...)


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